Es ist spät. Die Stadt ist überzogen von Dunkelheit. Allein die Lichter des Riesenrades und der Stände lassen sie hell erleuchten. Das Lachen der Kinder ist überall wahrnehmbar. Es ist ein Abend der Freude. Ein Abend der Leichtigkeit und des Vergessens. Doch nicht für sie.
Er lässt sie nicht vergessen.
Die letzten Nachrichten hinterließen ein Gefühl der Unsicherheit. Sie wusste, etwas stimmte nicht. Nun nahm sie ihn aus der Ferne wahr, in der Hand ein anderes Mädchen. Ein ihr sehr bekanntes Mädchen. Sie war die Exfreundin, die nicht loslassen wollte. Ein Mädchen, das den Trennungsschmerz nicht verkraften konnte. Wurde es nicht immer so erzählt?
Nun sieht sie beide über dieses leuchtende und von Kinderlachen untermalte Fest schlendern. Sie fühlt einen Stich. Er breitet sich über ihr Herz aus, wie die kleinen Nadeln einer Tätowierung. Die schwarze Farbe umhüllt ihr Herz, bis kein roter Schimmer mehr sichtbar ist. Die entstandene Dunkelheit weitet sich aus, umklammert ihre Seele. Aber sie wird nicht weinen, nein.
Sie wird schreien.
Sie geht auf ihn zu, stellt ihn zur Rede, laut, energisch. Doch er ist kalt und starr. Die Kälte in seinem Herzen schlägt sich in seinen Augen nieder. Sie lassen seine Lügen noch grausamer erscheinen, noch unwahrer. Doch sein eisiger Blick richtet sich nicht auf sie. Er schaut zur Seite, schafft es nicht sie anzusehen. Würde das Eis in seinem Herzen ansonsten brechen? Würde es ihn zerbrechen?
Er geht.
Er geht, immer weiter, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Sie möchte ihn halten, ihn schütteln, das Eis zerbrechen. Doch Menschen halten sie. Menschen, die sie nicht kennt, denen sie nicht vertraut und die doch denken, sie wüssten, was das Beste für sie sei. Nun steht sie dort in der Menge. Zurückgelassen. Auf einem Fest der Freude und Ausgelassenheit.
Ihren Kummer unterdrückend findet sie nach Hause zurück. Versucht zu realisieren, was gerade geschehen ist. War es vielleicht nur ein Film? Ein schlechtes Liebesdrama? Doch nein. Es war ihr Leben. Und die dunkle Farbe ihres Herzens verblasste etwas. Sie verblasste zu einem Grauton, wie die Farben von Regentropfen, die an der Fensterscheibe herunterrinnen.
Und sie weinte.
Sie weinte, bis ihre Augen brannten und sie in den Schlaf sank. Ein Schlaf, der sie wirre Träume leben ließ. Die erste Begegnung, der erste Kuss, der erste Schmerz. Sie erwachte und dachte an den Schmerz. So viel Schmerz in so einer kurzen Zeit. War er es wert? Wert, noch länger diese quälende Dunkelheit in sich zu spüren?
Nein.
Sie sah sich an, sah die geröteten Augen, den Kummer und zugleich blickte ihr Erleichterung entgegen. Nun wusste sie, woran sie war. Er war es nicht, der ihr Herz in einem flammenden Rotton zurückließ. Er war aber auch nicht die Dunkelheit. Er würde sie nicht beherrschen, über ihre Gefühle bestimmen. Er war keine Farbe, nur eine transparente Hülle, durchscheinend wie Eis.
Das Grau ihres Herzens verfärbte sich. Rote Farbtropfen breiteten sich immer weiter aus und hinterließen einen satten Ton. Ihr Herz war nun wieder einer unberührten Leinwand gleich, darauf wartend, von Farben des Neuanfangs umspielt zu werden.
Bild von: Mateusz Dach